Dass ausgerechnet Weltmeister Frankreich am Donnerstag (20.45 Uhr, ZDF) der erste deutsche Gegner nach dem historischen WM-Crash ist, ist brillant und beängstigend zugleich. Die Chance: Bundestrainer Löw und seine Russland-Touristen können gleich beweisen, dass sie etwas gelernt haben aus dem katastrophalen Scheitern. Man stelle sich vor, jetzt würde Laufkundschaft aus dem Niemandsland der Weltrangliste kommen – ein Muster ohne Wert.
Die Gefahr: Eine deftige Niederlage im ersten Spiel der „Nations League“ würde beweisen, dass die Probleme doch tiefer liegen als in Löws Analyse angedeutet. Die blieb am Mittwoch reichlich vage – ebenso wie die skizzierten Lösungen: Die eigene Spielweise müsse adaptiert werden, dozierte Löw, zudem müssen „Feuer und Leidenschaft“ im Nationalteam neu entfacht werden.
Aha!
Andererseits: Was soll er machen? Bis auf Leroy Sané waren in Russland nun einmal die besten deutschen Spieler dabei. Und das Ausscheiden mag blamabel gewesen sein, doch zuvor fünf Turniere mit mindestens einer Halbfinal-Teilnahme bleiben wuchtige Argumente für Löw. Eine neue Chance hat er also verdient. Aber hat der Bundestrainer die Zeichen der Zeit wirklich erkannt? Waren seine Ausführungen auf der Pressekonferenz glaubwürdig?
Dirk W. Eilert ist einer der führenden Experten für Mimik und Körpersprache. Für die BamS hat der Leiter der „Eilert-Akademie für emotionale Intelligenz“ Löws Auftritt bis ins Kleinste seziert, jede Geste unter die Lupe genommen.
Dirk W. Eilert (42) ist einer der führenden Experten für Mimik und Körpersprache im deutschsprachigen Raum. Er ist Buchautor („Der Liebes-Code“), gibt Kurse und hält Vorträge. In Berlin leitet er die „Eilert-Akademie für emotionale Intelligenz“
Besonders zu Anfang seiner Analyse zeigte Löw Anzeichen von Wut – vor allem auf sich selbst, sagt Eilert: „Aus der Forschung wissen wir, dass Wut Zielenergie freisetzt. Diese wird dafür verantwortlich gewesen sein, dass er nicht zurückgetreten ist, sondern weitermacht. Reine Niedergeschlagenheit und Enttäuschung hätten eher zu einem Rücktritt geführt.“
Die kurzen, aber kongruenten (immer gleichen) Anzeichen von Wut in seiner Mimik würden darauf hinweisen, dass „seine Aussagen absolut authentisch sind“, sagt Eilert.
Das Fazit des Mimik-Experten: „Löws Körpersprache war geprägt durch ein Wechselspiel von Stress auf der einen Seite und Selbstsicherheit wie Fokussierung und aufkeimendem Kampfesgeist auf der anderen Seite.“
Besonders spannend: Löw zeigt mimisch nur ein einziges Mal Anzeichen von Geringschätzung in Bezug auf die Leistung seiner Mannschaft (siehe rechts): „Hätte er wiederholt Geringschätzung gezeigt, würde er sich damit über seine Spieler stellen und sich nicht als Teil des Problems sehen. Dass er dies nicht macht, ist eine wichtige Voraussetzung für die zukünftigen Erfolgschancen der Nationalmannschaft mit ihm als Bundestrainer.“
Studien haben gezeigt: Zeigt sich Geringschätzung als durchgängiges Muster, zerstört das den Zusammenhalt und das Vertrauen innerhalb eines Teams – und damit letztendlich die Leistungsmotivation.
Wann: Als Löw die Schlussfolgerungen aus seiner Analyse zieht und Lösungen präsentiert.
Das sagt der Experte: Er spannt die Augenlider an und zeigt Rhythmusgesten in Form des sogenannten Präzisionsgriffs – er bündelt die Finger. Bis zu diesem Moment war Löws Körpersprache geprägt durch Signale von Stress und Nervosität. Nun kommt Selbstsicherheit, Fokussierung und aufkeimender Kampfgeist auf.
Wann: Als Löw über Özils Rücktritt spricht.
Das sagt der Experte: Als Löw kurz pausiert, um dann auf Özil zu sprechen zu kommen, ist ein deutlicher Anstieg der Stresssignale zu beobachten: Der Bundestrainer leckt sich mehrmals die Lippen, beißt sich auf die Lippen und richtet das Mikrofon. Ganz klar: Das Thema stresst Löw immens.
Als Löw über den Özil-Rücktritt spricht, zeigt er die Zunge
Wann: Vor seiner WM-Analyse
Das sagt der Experte: Bei Beruhigungsgesten berührt die Person sich meist selbst, zum Beispiel im Gesicht, oder auch ein Objekt. Die Berührungen dienen hier dazu, den eigenen Stress zu regulieren. Dadurch wird die Ausschüttung des „Kuschelhormons“ Oxytocin angeregt. Dieses wirkt direkt und beruhigend auf die Amygdala, das Gefahrenzentrum unseres limbischen Systems, und baut auf diese Weise Unsicherheit und Stress ab.
Wann: Vor seinen ersten Worten.
Das sagt der Experte: Löw zieht die Augenbrauen und Oberlider hoch sowie die Lippen seitlich auseinander – eine kurze Mikroexpression von Angst in milderer Form und Unsicherheit. Ein Hinweis, dass ihn das WM-Vorrunden-Aus immer noch stark zu beschäftigen scheint und er diese Niederlage emotional noch nicht voll verarbeitet hat.
Wann: Als er darüber spricht, was das WM-Aus für ihn bedeutet hat.
Das sagt der Experte: Er zieht die Wangen und ebenso die Oberlippe kurz hoch. Hier wird deutlich, wie schmerzlich ihm diese Niederlage zugesetzt hat. Aber auch die Wut zeigt sich in seinem Gesicht: Löw presst die Lippen zusammen und spannt die Kiefermuskulatur an.
Wann: Als er ausführt, dass die erfahrenen Spieler mehr hätten zeigen können.
Das sagt der Experte: Löw presst kurz den rechten Mundwinkel ein – ein Hinweis auf Geringschätzung. Diese Mikroexpression zeigt der Bundestrainer nur ein einziges Mal in der kompletten Pressekonferenz
Wann: Als Löw sagt, dass sie es in Russland „verbockt“ haben.
Das sagt der Experte: Löw schaut er nach unten rechts und ordnet mit seiner rechten Hand Papiere auf dem Tisch vor ihm. Der gesenkte Blick und Kopf sowie das nervöse Sortieren sind Hinweise auf Scham. Neben den anderen Stresssignalen und -expressionen ein weiterer Hinweis, wie sehr er mit sich ins Gericht gegangen ist und immer noch geht.
Wann: Wiederholt während der WM-Analyse
Das sagt der Experte: Während seiner Analyse wirkte Löw zunehmend nervöser – so richtet er zum Beispiel immer wieder das Mikrofon. Eine sogenannte Objekt-Beruhigungsgeste, die, wenn sie wie hier in diesem Fall mehrfach auftritt, ein Hinweis auf ein hohes Stresslevel ist (siehe auch „Angst“).
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